Monumentalgräber: Zeichen in der Landschaft

Monumentalgräber: Zeichen in der Landschaft
Monumentalgräber: Zeichen in der Landschaft
 
Im Denken der Menschen nimmt der Tod einen zentralen Platz ein. Es gibt keine Gesellschaft, die sich ihren Toten gegenüber gleichgültig verhält. Vielmehr haben alle Gesellschaften, die wir kennen, geregelte Formen des Abschieds von ihren Verstorbenen oder der Erinnerung an sie entwickelt. In deren Zentrum stehen bestimmte mehr oder minder ritualisierte Formen des Umgangs mit dem Leichnam, wie wir sie schon für die mittlere Altsteinzeit, also für die Zeit des Neandertalers etwa 100 000 bis 30 000 Jahre vor heute, nachweisen können. Dabei ist die Vielzahl der Formen des Umgangs mit den Toten auffällig: Menschen vergraben die Körper der Verstorbenen oder verbrennen sie, sie konservieren sie oder werfen sie Raubvögeln zum Fraß vor. Während manche Kulturen die sterblichen Reste ihrer Toten beseitigen, weisen ihnen andere einen dauerhaften und sichtbaren Ort zu. Dazu errichten sie über der Grabstelle ein Grabmal, das unter bestimmten Umständen monumentale Ausmaße annehmen kann. Der immense materielle und personelle Aufwand, der in solchen Fällen für die Grablegung getrieben wird, zeigt sich besonders deutlich an den ägyptischen Pyramiden des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. Doch steht die altägyptische Kultur in dieser Hinsicht weder allein noch kann sie die Urheberschaft für diese Praxis der Grablegung für sich beanspruchen. Vergleichbare Monumentalgräber gibt es, wenn auch zumeist von begrenzteren Ausmaßen, vielmehr in zahlreichen anderen Kulturen der Alten und Neuen Welt.
 
 Die Megalithkulturen in Europa
 
In verschiedenen Teilen Europas, so auf der Iberischen Halbinsel, in Norddeutschland und in Südskandinavien, finden wir entsprechende Großgrabanlagen schon im 5. und 4. Jahrtausend v. Chr. im Rahmen der »Megalithkulturen«, der durch Großsteinbauten gekennzeichneten Kulturen. Sie wurden unter Bezeichnungen wie »Hünengräber« oder »Dolmen«, bretonisch »Steintisch«, schon früh zum Gegenstand antiquarischen Interesses. Auch heute noch verleihen sie bestimmten Gegenden ein ganz besonderes Gepräge und setzen so Zeichen in der Landschaft. Das moderne Erscheinungsbild dieser aus tonnenschweren Felssteinblöcken errichteten Bauten täuscht allerdings; die heute sichtbaren steinernen Grabkammern und die diese umgebenden rechteckigen oder runden Steinkränze waren ursprünglich von einem Erd- oder Lesesteinhügel bedeckt.
 
Wie archäologische Forschungen gezeigt haben, wurden die meisten dieser Anlagen tatsächlich als Bestattungsplätze genutzt. Dazu besaßen sie eine oder mehrere steinerne oder hölzerne Kammern unterschiedlicher Form und Größe. Diese Kammern waren bei den größeren Megalithbauten über einen bis zu 20 m langen Gang von außen her zugänglich. Die Zahl der nachgewiesenen Bestattungen schwankt zwischen sehr wenigen und mehreren Hundert Individuen pro Grab. Unsicher ist, ob die Leichname gleich nach dem Tod in die Kammer verbracht wurden oder ob die Gräber als Knochenhäuser oder Ossuarien dienten. Für beide Praktiken gibt es archäologische Belege. Teilweise finden wir aber auch Hinweise auf Brandbestattungen.
 
Schon früh hat man über die Konstruktion dieser Megalithgräber nachgedacht. 1857 hielt der dänische König Friedrich VII. vor der Königlichen Gesellschaft für nordische Altertumskunde einen Vortrag »Über den Bau der Riesenbetten der Vorzeit«, in dem er der Frage nachging, wie die großen Steinblöcke der Megalithgräber ohne moderne Hilfsmittel transportiert worden sein konnten. Er schlug verschiedene Methoden vor, wie über hölzerne Rollen, Erdrampen und Hebel die Trag- und Decksteine in Position gebracht werden konnten. Diese Techniken werden in der Forschung auch heute noch diskutiert. Außerdem hat man ihre Praktikabilität und Effektivität auch experimentell überprüft. Dabei stellte sich heraus, dass zur Konstruktion entsprechender Anlagen durchaus ein gewisses Spezialistentum vorausgesetzt werden muss. Berechnungen belegen, dass der zur Errichtung notwendige Arbeitsaufwand im Allgemeinen zwischen 5 000 und 100 000 Personenstunden lag. Für wenige megalithische Großgräber wie die Ganggräber im irischen Boynetal wurde sogar ein weit darüber hinausgehender Aufwand errechnet. Diese Werte liegen zwar noch deutlich unter denjenigen entsprechender Anlagen aus dem hochkulturellen Bereich, doch belegen sie in Relation zur anzunehmenden geringen Bevölkerungszahl dennoch ganz beträchtliche Arbeitsinvestitionen. Sie sind auch deshalb bemerkenswert, da es sich bei den betreffenden Gemeinschaften, nach allem was wir über ihre politische Struktur erschließen können, nicht um staatlich organisierte Gemeinschaften mit einem zentralen Herrschaftsapparat handelte, sondern entweder um »segmentäre Gesellschaften«, also um Gesellschaften ohne politische Zentralinstanz, oder um »Häuptlingstümer«. Insofern repräsentieren diese Bauten wohl weniger die Grabdenkmäler herausgehobener Einzelpersönlichkeiten, sondern dienten primär als Symbole für eine größere Gemeinschaft der Lebenden und der Toten.
 
 Die Pyramiden Ägyptens
 
Dies unterscheidet sie grundlegend von den ägyptischen Pyramiden des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. Die Pyramide als exklusiv königliche Bauform symbolisierte den Abstand zwischen dem gottgleichen König und den Menschen. Dabei war ihre Höhe das ausschlaggebende Merkmal. Die Pyramide überragt alle anderen Bauten. Errichtet wurde sie durch ein schon industriell zu nennendes spezialisiertes Handwerk unter Beteiligung von Arbeitern, Aufsehern und spezialisierten Handwerkern. Es war paramilitärisch organisiert, wobei man sich die Arbeiter eher als Soldaten denn als Sklaven vorzustellen hat.
 
Die Entwicklung der ägyptischen Grabarchitektur ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses. Schon im vorgeschichtlichen Ägypten entstand die Gewohnheit, dem unterirdischen Grab ein symbolisches Haus zuzuordnen. Daraus entwickelte sich die Mastaba, ein lang gestreckter Baukörper mit einem flach gewölbten Dach und geraden oder geböschten Wänden aus Lehmziegeln. Sie diente herausragenden Persönlichkeiten als Begräbnisstätte. Die Mastabas der Könige der 1. Dynastie nahmen erstmals monumentale Dimensionen an. Die Pyramide selbst ist erst eine Erfindung der 4. Dynastie und gilt als Symbol eines Bündels von Sonnenstrahlen, auf dem der »Ka« des Königs, seine Seele oder schöpferische geistige Kraft, zur Sonne aufsteigt.
 
Die Pyramide bildet das Zentrum eines heiligen Bezirks. Dieser besteht zunächst aus dem monumentalen Nachbau der ganzen königlichen Residenz. So umgibt beispielsweise die Stufenpyramide des Djoser in Sakkara eine Art steinernes »Palastmodell«, dessen Gebäude größtenteils massiv, also unbegehbar sind. Später reduziert sich die Zahl der Nebengebäude. Wichtig wird vor allem der Totentempel vor der Pyramide. Er ist durch einen gedeckten Aufweg mit dem Taltempel, der an einem Nilarm liegt, verbunden.
 
Die Technik des Pyramidenbaus ist durch den Aufbau der großen Mastabas mit Außenmantel und Kernbau vorbereitet. Davon ausgehend entwickelt sich an den Pyramiden der Könige Djoser und Snofru ein kombinierter Aufbau in Horizontal- und Vertikalschichten, der Struktur einer Zwiebel vergleichbar. Um einen konischen inneren Kern legen sich nahezu senkrechte Mauerschalen. Der Aufbau in getrennten Schichten ermöglicht den Ausgleich von Spannungen und Senkungen innerhalb des riesigen Materialbergs. In Giseh erreicht die Pyramidenform ihren Höhepunkt mit den Grabstätten für die Könige Cheops, Chephren und Mykerinos. Die Nachfolger des Cheops jedenfalls bauten sehr viel bescheidener und weniger perfekt. Dennoch wurden in Ägypten noch lange Zeit Pyramiden errichtet.
 
Monumentalgräber kennen wir auch aus vielen anderen Kulturräumen. Erwähnt seien hier nur die minoisch-mykenischen Tholosgräber des 3./2. Jahrtausends v. Chr., die bronze- und eisenzeitlichen Großgrabhügel des mitteleuropäischen Raumes des 2./1. Jahrtausends v. Chr. oder die »Kurgane« der ukrainischen Steppe. Von der Errichtung dieser skythischen »Königsgräber« und den damit verbundenen umfangreichen Riten berichtet uns im 5. Jahrhundert v. Chr. der griechische Historiker Herodot, der übrigens auch schon Ägypten bereiste. Herodots Werk markiert zwar noch nicht das Ende des Monumentalgrabbaus, aber den Beginn seiner historischen und ethnographischen Erforschung.
 
Dr. Ulrich Veit

Universal-Lexikon. 2012.

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  • Megalithgräber — Megalịthgräber   [zu griechisch líthos »Stein«], Großsteingräber, im norddeutschen und skandinavischen Raum Hünengräber, Hünenbetten genannt, aus großen Steinblöcken (oft Findlinge oder behauene Steinplatten) errichtete, ursprünglich mit einem… …   Universal-Lexikon

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